Geschichtliches
Das letzte Jahr der Seckendorffs in Meuselwitz



Quelle: "Unsere Heimat" Heft 2
Mein Großvater, Veit Adolf Freiherr von Seckendorff, starb am 15. April 1943, und mit ihm wurde das Meuselwitz der Seckendorffs zu Grabe getragen. ältere Einwohner werden sich an den einarmigen Baron, der jeden Abend zum Stammtisch in die ,Weintraube' ging, erinnern, ebenso an meine Großmutter. die infolge von MuItiple sclerose zwanzig Jahre im Rollstuhl zubrachte und ihren Ehemann nur ein halbes Jahr überlebte. Mein Vater, Veit-Ludwig Freiherr von Seckendorff, erbte als ältester Sohn Schloß und Rittergut. Er war Forstmeister in Mecklenburg nur wurde er wegen des Krieges aus dem Staatsdienst nicht entlassen. So konnte er nicht nach Meuselwitz ziehen. Aber unter Leitung unseres tüchtigen Oberinspektors, Herrn Paul Scharf, lief der Gutsbetrieb ungestört weiter. so daß meine Eltern nur ab und an kommen brauchten, um Fragen zu klären oder Entscheidungen zu treffen. Ich selbst war im Altenburger Stift, das im Sommer 1944 von den Nazis aufgelöst wurde. So zog ich im August 1944 mit zwei Freundinnen nach Meuselwitz. Natürlich kannte ich den großelterlichen Besitz, manche Weihnachtsfeste waren im gro0en Famiiienkreise dort begangen worden, zumal meine Großmutter am 22. Dezember Geburtstag hatte. Auch meine Sommerferien hatte ich schon dort verbracht und freiwillig nach Anweisung von Gärtnermeister Honigmann Blumenbeete gejätet. Höhepunkt war die Goldene Hochzeit am 2. Oktober 1940 gewesen. Ich erinnere mich noch an die kirchliche Feier und das Festessen im "Feldmarschallsaal", das Abendessen vorher nahmen wir im "Gartensaal" ein. So war Meuselwitz für mich nicht fremd. Ich erinnere mich noch an einzelne Geschäfte wie Papierhandlung Zänglein in der Schloßstraße, ferner Textilgeschäft Benkert, den Fotografen Kühn und natürlich Kirche und Rathaus. Wir fuhren täglich mit dem Zug zur Schule nach Altenburg. Da das Karolinum - Staatl. Oberschule für Mädchen - Lazarett war, hatten wir mit dem Jungengymnasium Ernestinum im Wechsel Unterricht, eine Woche vormittags und eine Woche nachmittags. Morgens. ehe es zur Schuie ging, gab es in der Küche einen Teller Milchsuppe und ein Stück Graubrot, mit Pflaumenmus bestrichen, aber ohne Butter darunter. Denn auch im Schloßhaushalt waren die Lebensmittel rationiert. Betreut wurden wir von einer alten Hausdame, die den Haushalt für meine Eltern führte. Spätabendliche Spaziergänge führten nur in den Park, weiter hinaus ging es nicht, das Schloßtor war verschlossen und der Park eingezäunt. Aber am Tage ging ich gern im Auholz spazieren. Auf der Wiese davor, durch die ein Trampelpfad führte, hatte mein Großvater ein Schild anbringen lassen: "Lieber Wanderer, merk dir das: Geh auf dem Weg und nicht im Gras. damit man leicht und ohne Müh dich unterscheiden kann vom Vieh !" -Jedoch noch besser gefiel mir das Zschagasterholz. Der Krieg mit seinen furchtbaren Folgen rückte immer näher. Am 16. August 1944 wurde vormittags bei strahlend blauem Himmel die DEA in Rositz mit Bomben in Brand geworfen. Wir saßen den Vormittag in Altenburg im Luftschutzkeller und konnten nun mittags nicht mit der Bahn nach Hause fahren. Wir brauchten zu Fuß fünf Stunden, weil wir um Rositz einen großen Bogen machen mußten. Wir waren so verschmutzt, so daß der Badeofen gleich angeheizt wurde. Soweit ich mich erinnern kann, fielen erste Bomben auf Meuselwitz am 30. November 1944, u. a. auch in die Gärtnerei in ein Erdbeerbeet, was ich besonders bedauerte, weil die Erdbeeren vorzüglich waren. Auch konnten wir öfters vom Schloßboden aus den hellerleuchteten Himmel über dem brennenden Leipzig beobachten. Die Katastrophe ereignete sich am 20. Februar 1945. Schon eine Woche vorher, am 13. Februar, Dresdens Schicksalsnacht, wurde das Schloß in Oberlödla von Bomben getroffen. und alle Personen kamen um. Und am 20. Februar, als die Sirenen wieder gingen, nahmen wir unser Köfferchen, nicht ahnend. daß das dann unsere letzte persönliche Habe sein würde! Nie werde ich das Herannahen der Bomber und die Bombenabwürfe vergessen, dieses Knacken in den Ohren bei jeder Detonation, die man zuerst nicht einmal gehört hatte. Und dann der Volltreffer in den Nebenkeller! Man konnte nicht mehr denken, nur noch das eine: Jetzt ist es aus! PIötzliches Dunkel, entsetzliches Krachen, Staubwolken, Stimmengewirr, nasse Tücher, es ging alles so schnell ! In diesem Keller des Schlosses saßen ca. 70 Personen, aber auch der öffentliche Schloßkeller war überfüllt. Nur dem Umstand, daß die Bombe nicht unseren Keller traf, verdanken wir unser Leben. Nach Entwarnung und bei beginnender Helligkeit krochen wir aus dem Kellerfenster auf der Parkseite unter der Terrasse. Doch was erblickten wir? Die Nordwestseite des Schlosses, wo wir geschlafen hatten, war weg, die Nordseite beschädigt, das Inspektorhaus schwer beschädigt, der Wirtschaftshof fast 100%ig weg ! Alles Vieh, bis auf ein Pferd, war tot. Man fragt sich, warum Schloß und Wirtschaftsgebäude Ziel der feindlichen Bomber war. Es wurde vermutet, daß sie die HASAG (Hugo-Schneider-Aktien-GeselIschaft), die Munitionsfabrik in Meuselwitz, treffen wollten. Die großzügige Anordnung der Gebäude am Schloß haben sie (d. h. die Aufklärer vorher!) dafür gehalten, und Zeugen wollen gesehen haben, daß sog. "Christbäume" (Leuchtbomben) über dem Schloß abgesetzt wurden. Es fielen auf Hof und Felder (ob amtlich, weiß ich nicht!) 207 Bomben und eine Luftmine. Die Uhr in der Küche war um 4:40 Uhr stehen geblieben. Noch am selben Tag verließen wir Meuselwitz für immer. Wir luden unsere paar Habseligkeiten auf einen Handwagen und zogen ihn nach Kostitz, wo meine Eltern uns später abholten. Mein Elternhaus in Mecklenburg sah ich nur ein paar Wochen, ehe wir von dort wegen des bevorstehenden Einmarsches der sowjetischen Streitkräfte weggingen. Thüringen war zuerst amerikanische Besatzungszone. Mein Vater war in Mecklenburg geblieben und schlug sich, meist zu Fuß, bis zur Mulde durch, die damals die "grüne Grenze" bildete. Nach Durchquerung einer Furt war er auf amerikanisch besetztem Gebiet und traf dann von dort zu Fuß in Meuselwitz ein. Da das Schloß nicht bewohnbar war, nahm er Ouartier bei Gärtnermeister Honigmann, wo dann mein Bruder, aus Gefangenschaft entlassen, auch eintraf. Mein Vater machte sofort PIäne für den Wiederaufbau. Der Wirtschaftshof sollte draußen an der Schäferei neu errichtet werden. Auch hatte er schon Steine anfahren lassen zur Reparatur des Schlosses. Den alten Zustand im Karree konnte und wollte er nicht wieder herstellen, sondern die vorhandenen Teile instand setzen und bewohnbar machen. Am Sonntag, den 1. Juli 1945 rasselten in der Frühe Panzerketten durch Meuselwitz. die Rote Armee marschierte ein. Laut Vertrag von Yalta wurde Thüringen russische Besatzungszone. Für meinen Vater war es ein großer Schock: Alles war umsonst, der dreiwochige Fußmarsch von Mecklenburg nach Meuselwitz, die PIäne fur den Wiederaufbau usw.! Seine Befürchtungen bewahrheiteten sich im Gesetz zur Bodenreform: Junkerland in Bauernhand ! Aller Besitz über 100 ha wurde entschädigungslos enteignet, die Eigentümer wurden z.T. verhaftet. Mein Vater und mein Bruder konnten Meuselwitz rechtzeitig verlassen - sie haben es nie wiedergesehn ! Den genauen Tag weiß ich nicht, ich vermute, im September 1945. So gingen fast 300 Jahre Seckendorff-Geschichte in Meuselwitz zu Ende. Jahre, die auch eine enge Verbindung zum Ort darstellten. Berühmte Persöniichkeiten sind zu Gast gewesen; so gilt es das zu bewahren, was noch Zeugnis ablegt von vergangenen Zeiten.

Marie-Elisabeth von Elterlein, geb. von Seckendorff