Der Meuselwitzer Bergbaupionier Christian Kluge

Das Gebiet um Meuselwitz wird als die Wiege des mitteldeutschen Braunkohlenbergbaus bezeichnet. Anfänglich gab es hier verschiedene sogenannte "Bauerngruben", wo auf primitive Weise die "brennbare Erde", wie man die Braunkohle zuerst bezeichnet, abgebaut wurde, um diese zu "Kohleziegeln" zu verarbeiten. Die Grundlage zur industriellen Produktion wurde erst durch den späteren Einsatz der Dampfmaschine zur Kohle? und Wasserf örderung gelegt. Die Pionierarbeit dazu leistete der Meuselwitzer BauerJohann Christian Kluge. Erwurde als Sohn des Bauern und Anspanners Johann Kluge geboren, der über 80 Jahre alt geworden war. Aus seiner Grabrede erfährt man, daß er große Verehrung in Meuselwitz genoß und allgemein als "Vater Kluge" bezeichnet wurde. Aus seinen beiden Ehen waren nicht weniger als 18 Kinder hervorgegangen, darunter auch der hier näher beschriebene Johann Christian Kluge.
Unlängst fand ein Bürgerin Meuselwitz in einer Aschengrube ein von Christian Kluge handgeschriebenes Heft mit wichtigen Aufzeichnungen zu seinem persönlichen Lebensweg. Es ist nicht nur für den Heimatforscher unvorstellbar, daß man fast 100 Jahre nach seinem Tode eine derart seltene Dokumentation achtlos in den Müll werfen konnte. Zum Glück wurde sie noch vor dem völligen Verderben gerettet. Aus ihr erfährt man zahlreiche interessante Angaben aus dem Leben dieses bedeutenden Mannes. Einiges daraus soll hier einmal erwähnt werden.
Christian Kluge schrieb so wie er sprach und hatte offensichtlich wenig Kenntnis von der Orthographie und Grammatik. Daher soll er in einigen seiner Angaben original zitiert werden. Gleich zu Beginn heißt es: "Ich Johann Christian Kluge in Meuselwitz, geboren 30. November 1818, will mein Lewenslauf so wie es noch geht noch Aufzeignen, um da die meinigen Wissen, wie die Meuselwitzer Kohlengruben entstanden sind. Ich stamme aus der z. Ehe meines Vatters des Gutsbesitzer Johann Kluge in Meuselwitz in der Meeden und bin in Meuselwitz in der Schule gewesen, wo wier vom Lehrer blos Anweisung durch den Stock hatten. wier musten uns untereinander selber forthelfen. nach der Schulzeit half ich die erstzeit mehr in Häuslichen, weil sehr ich Schwach und kräklich war. bei den Pferden half ich so fiel was mir mölich war, was mein Stiefbruder sehr Ausnutzte ..."
Obwohl sein Vater durchaus als vermögend galt, hielt er seinen Sohn Christian sehr kurz. Er sagte einmal zu ihm: "Wenn Du kein Geld hast, vertust du keins." Ging Christian einmal zum Tanz, so rückte der Vater nur selten einmal eilige Groschen heraus. Bevorzugt wurde offensichtlich sein Stiefbruder Gottfried, der als zukünftiger Erbe des Gutes beispielsweise von den Lohnfuhren 2/3 erhielt, während sich Christian mit 1/3 zufrieden geben mußte. Gottfried war es, der 1838 den ersten Schachtversuch auf dem Grundstück östlich der Gartenstraße durchführte. Der Vater übergab dann auch tatsächlich dem Gottfried sein Gut, während Christian bei ihm nur als Knecht dienen durfte. Von Johanni bis Weihnachten erhielt er nur ganze 8 Gülden und Waschen und Schneiderlohn.
Der Vater hatte bereits um 1820 von einem Oberlager nach Braunkohle gegraben, die aber nicht zu verwerten war. Die erwähnten Gebrüder Kluge bohrten 20 Jahre später erneut nach Kohle, die in tieferen Stellen nördlich der Weinbergstraße lag. Damals ließ man Rutengänger kommen, die das Schürfgebiet erkunden sollten. Im 3. Lager stieß man endlich auf sehr brauchbare Kohle. Doch hatte man ständig große Schwierigkeiten mit eindringenden Wasser. Nicht selten brach das Bohrzeug. Auch waren Arbeiter tätig, die unzuverlässig waren, außerdem verstand kaum einer etwas von einem fachgerechten Bergbau. Dazu kam es ständig zu Streitigkeiten zwischen den Brüdern. Die guten Vorschläge von Christian wurden kaum beachtet. Nun kam es zu einer schweren Erkrankung von Christian, der sich bei seiner Arbeit nie schonte. Er berichtete von einer Nervenkrankheit und war dem Tode nahe. Völlig entkräftet konnte er sich nicht einmal allein umwenden oder sein Gesicht mit einem Tuch abwischen. So lag er viele Wochen und mußte das Gehen erst einmal an Tischen und Stühlen erneut lernen. An anderer Stelle schreibt er: "Und wenn ich Abens im Bett Warm war, kam mein Bruder und legte sich in das Warmebet und ich muste in ein kaltes Bette." Seine Mutter sprach allemal: "ich bin Stiefmutter ihr müst Gottfried folchen." Viele solcher traurigen Episoden werden in diesen Aufzeichnungen noch erwähnt.
Mit der Grube ging es zunächst weiterhin schlecht, weil Gottfried nicht auf die klugen Ratschläge seines 14 Jahrejüngeren Bruders hören wollte, der sich aber immer mehr zum eigentlichen Organisator des technischen Fortschrittes entwickelte. So ließ er öpel und Roßwerke zum Abpumpen des Wassers anwenden oder errichtete feste Scheunen zum Trocknen der Ziegel. Auch rief er Fachleute aus den sächsischen Bergbaugebieten zur Hilfe und überwachte streng alle anfallenden Arbeiten. Dazu brauchte er Ordnung in der Buchführung. Die Kluges hatten ja außerdem noch ein großes Bauerngut zu bewirtschaften. 1842 wurde zu einem Dürrejahr. Das Vieh hungerte, selbst alte Strohdächer mußten zu Futter dienen. Zu Schleuderpreisen verkaufte man das Vieh. Zu allem Unglück brannten auch noch zwei Scheunen ab, die voller trockener Kohle waren. Dabei mußten die Leute, die löschten, noch mit Essen und Trinken versorgt werden. Offensichtlich lag hier Brandstiftung vor, weil Kluge durch den Einsatz billiger Fremdarbeiter sich im Ort unbeliebt gemacht hatte. Die Aufstellung neuer Maschinen für die Wasserförderung stieß auf erhebliche Probleme, da die Schlossergesellen Schluderarbeit leisteten. Oft baute man ohne Lot, Winkel und Wasserwaage alles aus der freien Hand. Schließlich starb auch noch der Vater. Starke Fröste ließen die Wasserrohre zufrieren, die Pumpen zerbrachen. Aber unermüdlich arbeitet Christian Kluge weiter verbissen an seinem Werk. Inzwischen hatte er bereits 70 Arbeiter beschäftigt. Er selbst war von früh 5 bis etwa 20 Uhr in der Grube und ließ sich nicht selten noch das Mittagessen in den Schacht bringen. Immer wieder traten die verschiedensten technischen Mängel auf und finanzielle Probleme belasteten ihn zusätzlich. Sein Bruder konnte nicht wirtschaften und machte ständig Schulden. Da übernahm Christian 1848 noch das väterliche Gut. Er fand eine gute Frau, die Trauung fand in Mehna statt. Ausführlich beschreibt Christian auch dieses Ereignis. Durch seinen Schwiegervater konnte er sich Geld verschaffen, er unternahm Exkursionen zu anderen Kohleschächten im Zwickauer Raum und war unermüdlich bestrebt, sich neue bergmännische Kenntnisse anzueignen. Schließlich begann er in den 50er Jahren die ersten Dampfmaschinen aufzubauen. Die Montagearbeiten waren wiederum voller Schwierigkeiten. So stellte sich beispielsweise bei der Aufstellung heraus, daß alle Schrauben verrostet waren. Sie mußten abgeschlagen werden und waren dann anschließend nicht mehr zu gebrauchen. Doch endlich hatte er die erste Maschinenförderung im Meuselwitzer Kohlenrevier verwirklicht. Obwohl jetzt die Förderleistungen sprunghaft anstiegen, mußte Kluge weiterhin äußerst sparsam wirtschaften. So konnte er sich beispielsweise keinen Schreiber leisten und machte auch alle diese Büroarbeiten selbst. Dazu hatte er noch eine wichtige Stellung in der örtlichen Verwaltung und war bei vielen kommunalen Arbeiten aktiv tätig. So setzte er sich für den Wegebau in Meuselwitz ein oder ließ Treppenstufen errichten, um besser an die Schauder heranzukommen. Durch den Tod seiner Frau traf ihn erneut ein harter Schicksalsschlag, so hatte er beispielsweise seine 4 kleinen Kinder zu versorgen. Außerdem kam es zu schweren Wassereinbrüchen, die 2 seiner Schächte unbrauchbar machten. Ein Bergarbeiter aus Zipsendorf fand dabei den Tod. Auch kam es immer wieder zu finanziellen Schwierigkeiten, und Kluge hatte mit zahlreichen Gegnern zu kämpfen. Schließlich wurde er noch von der Pockenkrankheit befallen. Er schrieb, daß seine Feinde ungeduldig auf seinen Tod warteten. Aber Christian überstand auch diese Krankheit. Weiterhin beschreibt er in seinen Aufzeichnungen die Widrigkeiten mit höhergestellten Stellen wegen eines Einlösungsrechtes, daß so gut wie eine Hypothek war. Seine Eingaben gingen dabei bis hin zu einem Gutachten durch die Universität in Heidelberg. Während einer erneuten Krankheit betete er: "Ach Herr, laß mich nicht Zuschanden werden, daß sich meine Feinde nicht freuen über mich."
Mit ungebrochener Schaffenskraft war Christian Kluge weiterhin tätig. So richtete er beispielsweise für seine Grubenarbeiter eine Krankenkasse ein. Alle Meuselwitzer und die Angehörigen der Prehlitzer Grube traten mit dazu. Im Jahre 1894 wurde er noch in den Kirchenvorstand gewählt, und er setzte sich u.a. für eine neue Kirchenuhr und für die Reparatur der Orgel ein.
Noch vieles ließe sich zu seinem schaffensreichen Leben hinzufügen. Christian Kluge schließt sein Tagebuch mit den Worten: "Der Herr hat Groses an mir Gedan. Ich wurde gesund und meine Feunde (Feinde H.K.) konnten mich und meine Famielie nicht Zuschanden machen, des wahren wir Fröhlig und Danken Gott, da Er so Groses an mir Gedan hat. Johann Christian Kluge in Meuselwitz in 80 Jahre habe ich so vorstehendes geschrieben."
Christian Kluge wurde zum wahren Schrittmacher beim Obergang von der einfachen Manufaktur zu einer modernen Industriegesellschaft. Im Jahre 1940 errichteten die Meuselwitzer für ihn ein Denkmal, das der Altenburger Bildhauer Dietze schuf. Sein Andenken sollte man in Ehren erhalten. Möge er den gegenwärtigen Menschen als Vorbild dienen für einen fleißigen, selbstlosen und kreativen Unternehmer, wie er gerade heute wieder so sehr benötigt wird.



Kluge-Denkmal in der Weinbergstraße

  Verweise zum Thema:
   
Quellenangaben:
   Text aus: "Unsere Heimat" Heft 6 (1997)